Carlos Navarro bietet eine Gastronomie an, die nicht nur nährt, sondern auch verbindet

Ein Besuch bei einem Koch, der altes Wissen mit zeitgenössischem Anspruch verbindet – und die Küche als Brücke zwischen Menschen, Boden und Gesellschaft versteht.

Carlos Navarro ist Gastronom, Rezeptentwickler und Coach. Mit seinen Zürcher Betrieben – vom traditionsbewussten «Rechberg 1837» bis zur Sauerteigpizza im «TC Belvoir» – verfolgt er eine klare Vision: Er denkt das Kochen weiter – ganzheitlich, regional und mit einem feinen Gespür für das, was wirklich zählt – zwischen fermentiertem Gemüse, regenerativer Landwirtschaft und kulturellem Erbe. 

Verbindung zwischen Landwirtschaft und Küche

Slow Food Carlos Navarro Rank Photo by Alina Birjuk 8101

In der heutigen Gastronomie geht etwas Entscheidendes verloren: die Verbindung. Zwischen Küche und Landwirtschaft, zwischen Produkt und Mensch, zwischen Herkunft und Genuss. Viele Restaurants bestellen ihre Zutaten aus standardisierten Listen – was geliefert wird, landet auf dem Teller. Woher es kommt? Wer es angebaut hat? Welche Geschichten und Mühen dahinterstecken? Kaum jemand weiss es – und viel zu wenige interessiert es. Die Folge: Essen wird zur schnellen Ware, statt zu einem wertschätzenden Erlebnis.

Carlos fragte sich: «Warum wissen Köche und Köchinnen so wenig über das, was sie täglich verarbeiten?  Und: Wie kann ein Gast echte Wertschätzung für ein Gericht empfinden, wenn selbst der Koch kaum weiss, woher es stammt? Alte Sorten, traditionelle Rezepte, ein bewusster Umgang mit saisonalem Gemüse. Die Verbindung zwischen Hof und Küche, sagt er, war früher viel enger.»

Lebensmittel ohne Gesicht

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Auch Carlos Navarro erlebte das in seiner Ausbildung. Lebensmittel kamen anonym in Kisten – ohne Kontext. Woher es kam und welche Arbeit dahintersteckte, erfuhr man nicht. Doch genau das liess ihn nicht los. Denn er stammt aus einer Gastronomiefamilie und durfte schon von klein auf im Restaurant seines Vaters mit anpacken. So lernte er Produzenten und Produzentinnen kennen und erhielt Zugang zur vielfältigen Welt der Gastronomie.

Aber es ist nicht einfach: Wirtschaftliche Herausforderungen sind immer präsent, denn die Margen sind schmal – vor allem, wenn gute Lebensmittel und faire Arbeitsbedingungen wichtig sind. Die Gastronomie in einer Stadt wie Zürich ist sehr schnelllebig. Ein grosser Teil der Kundschaft ist sehr trendaffin. Da muss man einen klaren Kopf behalten und sich treu bleiben.

Veränderung durch Zusammenarbeit

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Mit der Zeit erkannte Carlos, wie viel verloren geht, wenn der Dialog zwischen Hof und Küche fehlt. «Ich habe gelernt, dass ich, wenn ich den Produzenten und Produzentinnen nicht nur zuhöre, sondern auch vorbeigehe und mitarbeite, ganz anders mit dem Gemüse umgehe. Nun stellen wir unser Angebot effektiv danach zusammen, was wir vom Hof bekommen. Durch den Austausch mit den Produzenten und Produzentinnen haben wir ausserdem erkannt, wie wichtig es ist, mit wem wir zusammenarbeiten. Über regenerative Landwirtschaft zu lernen, dem Boden etwas zurückzugeben und Nährstoffe in Lebensmittel weiterzugeben, ist so viel mehr, als nur etwas Feines zu essen.»

Jede Zutat ist Ausdruck einer Beziehung

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Im Restaurant TC Belvoir riecht es nach frisch gebackenem Teig, leise knistert der Pizzaofen. Carlos steht davor, leicht bemehlt, und testet einen neuen Teigansatz. «Das ist Willy», sagt er mit einem Lächeln und meint damit nicht einen Menschen, sondern den Sauerteig, der sich wie ein roter Faden durch seine Küchen zieht – vom Rechberg 1837 bis ins Kultur Lokal Rank. Willy ist nicht nur eine Zutat, sondern Symbol: für Handwerk, Geduld und ein tiefes Verständnis für das, was gutes Essen eigentlich bedeutet. «Ich habe gelernt, dass Essen nicht im Kühlschrank, sondern auf dem Feld beginnt. Und dass es einen Unterschied macht, ob ich einfach bestelle oder selbst sehe, wie etwas wächst. Über regenerative Landwirtschaft zu lernen, dem Boden etwas zurückzugeben und Nährstoffe in Lebensmittel weiterzugeben, ist so viel mehr als nur ein Gericht. Auch dank Slow Food haben wir diese Ebene der Gastronomie kennengelernt und Kontakte geknüpft.»

Nähe, die verändert

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In seinen Restaurants, die er gemeinsam mit Alexander und Raphael Guggenbühl sowie dem Team führt, steht die Beziehung zu den Landwirtinnen und Landwirten im Zentrum. Carlos beschreibt dies als einen Prozess der langsamen Erkenntnis: «Anfangs wussten wir gar nicht, was diese Nähe mit uns macht. Aber irgendwann merkst du, dass du anders kochst, wenn du beim Ernten geholfen hast. Wenn du weisst, wie viel Aufwand eine Selleriewurzel erfordert.» Diese Auseinandersetzung führte ihn zur Cooks’ Alliance von Slow Food – einer Gemeinschaft von Köche und Köchinnen, die sich für nachhaltige Landwirtschaft und kulinarische Vielfalt einsetzen. «Es war bereichernd, Leute zu treffen, die eine ähnliche Philosophie haben. Und es hat uns Sichtbarkeit gegeben – plötzlich wurde wahrgenommen, wofür wir stehen.»

Was gutes Essen bedeutet

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Für Carlos bedeutet gutes Essen weit mehr als nur Geschmack. «Es beginnt mit gesunden Lebensmitteln, die unter fairen Bedingungen produziert wurden. Und es endet damit, dass auch die soziale Ebene stimmt. Dann habe ich Freude – und diese möchte ich teilen.» Im Alltag kann das jedoch herausfordernd sein, denn viele Gäste wollen einfach eine Pizza. Für sie ist es schwierig zu beurteilen, ob der Weizen regenerativ angebaut wurde. Aber wenn Interesse da ist, erzählen wir gerne.» So entsteht ein Spagat zwischen Zugänglichkeit und Tiefe – ein Sweet Spot, den Carlos mit viel Feingefühl trifft.

Tradition trifft Zukunft

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Im «Rechberg 1837» geht Carlos noch einen Schritt weiter. «Für unsere innovativen Gerichte lassen wir uns vom Jahr 1837 inspirieren, als die Landwirtschaft noch stärker mit der Stadt verwoben war. Wir kochen ausschliesslich mit Zutaten von damals. Wir wollen zeigen, wie früher viel stärker mit dem Rhythmus der Natur gegessen wurde, um diese Haltung in die Zukunft zu tragen.» Sein Lieblingsbeispiel ist die Hirse. «Sie ist grossartig: geschmackvoll, vielseitig und mit einer tiefen kulturellen Verankerung.» Carlos erzählt von der historischen Hirsebreifahrt von Zürich nach Strassburg und davon, wie er vergessene Traditionen wieder aufleben lässt. «Solche Geschichten verbinden – und machen das Essen bedeutungsvoller.» In Carlos’ Restaurants wird mit unverarbeiteten Lebensmitteln, alten Sorten und Rassen sowie traditionellen Rezepturen gearbeitet. «Unsere Gastronomie soll eine emotionale Verbindung zu den Gästen schaffen, die bis zu den Produzenten und Produzentinnen zurückreicht.» Carlos hält die Zusammenarbeit mit Pro Specie Rara sowie den Austausch mit den Landwirten und Landwirtinnen für wichtig. Er tauscht sich auch mit den Leuten von Slow Grow aus und erfährt von ihnen, wie aufwändig die Arbeit ist, bis man beispielsweise eine Selleriewurzel entsteht.

Von links nach rechts: Matthias Hollenstein (Slow Grow), Carlos Navarro (Cooks' Alliance), Petrissa Eckle (HofLabor)

Die Küche als gesellschaftlicher Raum

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Für Carlos ist Kochen nie nur Genuss, sondern auch eine Haltung. «Wir servieren Essen, das mehr sein will als nur Genuss. Es soll auch etwas auslösen.» Dabei kennt er die Grenzen: «Nicht alle wollen gleich etwas lernen – und das ist okay. Wir drängen niemandem etwas auf.» Doch sein Anspruch bleibt: die Gastronomie als Ort des Wandels zu gestalten. Er beobachtet Trends wie die Verbindung von Ernährung und Gesundheit sowie neue Transparenz in Bezug auf Herkunft und Verarbeitung. «Das ist die Zukunft», sagt Carlos.

Zwei persönliche Fragen an Carlos Navarro:

Was ist für dich eine Zürcher Küche?
Sehr vieles! Sicher die Klassiker wie Züri Gschnätzlets und Rösti, aber auch Kebab, Curry oder Pizza haben ihren Platz – in den 90er Jahren ist man mit vielen Kulturen aufgewachsen, sodass man bei meinen Freunden zu Hause sehr diverse Gerichte gegessen hat. Eine Zürcher Küche, wie ich sie leben möchte, basiert auf regionalen Produkten und internationalen Zubereitungstechniken. Ich nehme also zum Beispiel den japanischen Einfluss der Misopaste und bereite sie aus lokalen Zutaten zu. Regionale Produkte im internationalen Kontext zu betrachten, finde ich toll.

Was ist dein Lieblingsessen?
Das ist echt nicht einfach, weil ich so viel mag. Zum Beispiel Ankäbrötli oder Spaghetti Napoli als Comfort Food. Nein, weisst du, was mein Lieblingsessen ist? Ein leckeres Ofengemüse. Randen, Rüebli, Sellerie und Zwiebeln kommen mit etwas Rapsöl, Salz und Knoblauch für 40 Minuten bei 160 Grad in den Ofen. Dazu Ziger von einer Alpkäserei – das ist sogar ein Presidi-Produkt. Wenn du die Süssmolke upcyclest, ist sie gut verwertbar für unseren Körper und vielseitig einsetzbar. Einfach grossartig!

Cooks’ Alliance

Die Cooks' Alliance ist das Netzwerk von Köchinnen und Köchen, welche die Werte von Slow Food verkörpern. Jede*r verpflichtet sich, die Prinzipien der Alliance zu respektieren.

Die Mitglieder der Cooks' Alliance verarbeiten lokale und saisonale Zutaten. Sie teilen dieselbe Philosophie: kulinarisches Know-how weitergeben, eine starke Bindung zu ihrer Region pflegen und den Verlockungen der Nahrungsmittelindustrie entgegenwirken.

Sie lieben gute Produkte und arbeiten mit kleinen Produzenten und Produzentinnen aus ihrer Region zusammen. Sie rücken ebenfalls Presidi-Produkte, «Passagiere» der Arche des Geschmacks und die Slow Wine-Winzer*innen in den Mittelpunkt.

Mehr Informationen zur Mitgliedschaft und den Vorteilen findest du hier:

Cooks' Alliance – Jetzt entdecken

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