Ernährungs-was? Warum das Schweizer Ernährungssystem uns alle betrifft

Slow Food setzt sich für eine Welt ein, in der alle Menschen Zugang zu Lebensmitteln haben, die gut für sie selbst, die Produzierenden und den Planeten sind. Seit der Gründung befürwortet Slow Food die Vielfalt von Geschmack und Kultur und wehrt sich gegen die Vereinheitlichung durch die Agrar- und Lebensmittelindustrie. Die Bewahrung der biologischen Vielfalt, also des Artenreichtums und der Vielfalt von Lebensräumen, ist von grosser Bedeutung, da sie unsere Lebensgrundlage sichert. Doch was bedeutet das konkret, und wo liegen die aktuellen Herausforderungen in der Schweiz? Am Beispiel des Urdinkels lassen sich zentrale Aspekte des Schweizer Ernährungssystems sowie dessen Herausforderungen und Potenziale veranschaulichen.

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Das Ernährungssystem im Überblick

Kuh

Ein Ernährungssystem umfasst alle Prozesse und Aktivitäten, die mit der Produktion, Verarbeitung, dem Handel und dem Konsum von Lebensmitteln zusammenhängen. In der Schweiz wird vor allem Milch, Fleisch und Getreide produziert. Über 45 % der verzehrten Lebensmittel werden importiert. Ein grosser Teil der in Brasilien produzierten Soja wird beispielsweise auf gerodeten Waldflächen angebaut und als Futtermittel in die Schweiz importiert. Dadurch gehen wichtige CO₂-Speicher verloren. Fleisch von Tieren, die ausschließlich auf der Weide gehalten wurden, stammt meist aus einer klimafreundlichen, extensiven Produktion und belastet die Umwelt deutlich weniger.

Seit 1985 hat sich die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe mehr als halbiert, und etwa ein Fünftel der landwirtschaftlichen Haushalte lebt unter dem Existenzminimum. Vor allem kleinere Betriebe sind gefährdet, obwohl sie durch vielfältige Anbaumethoden einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität leisten. Neuere Konzepte wie Solidarische Landwirtschaft stellen sich diesen Herausforderungen und tragen zu einer vielfältigen, kleinstrukturierten Landwirtschaft bei. Indem wir mehr Lebensmittel direkt vom Hof kaufen, unterstützen wir unabhängige landwirtschaftliche Kleinbetriebe.

Der Urdinkel zeigt diesen Wechsel in der Landwirtschaft auf: Das nährstoffreiche Getreide war einst weit verbreitet, der Anbau des Weizen und die Mechanisierung verdrängten ihn aber. Bäuerinnen und Müller taten sich zusammen, um den Anbau wieder zu fördern, und konnten so Urdinkelarten schützen. Die alte Getreidesorte ist auch nicht auf Düngemittel oder Pestizide angewiesen. So kann der Urdinkel zur Vielfalt der Kulturlandschaft beitragen.

Verarbeitung und Wertschöpfung

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Die Weiterverarbeitung von Rohstoffen zu verzehrfertigen Produkten stellt eine weitere Herausforderung dar. Hier entsteht ein Grossteil des Food Waste, und hochverarbeitete Produkte mit geringem Nährstoffgehalt werden zunehmend produziert. Das wirkt sich negativ auf unsere Gesundheit aus. Gleichzeitig sind traditionelle, schonende Verarbeitungsmethoden rückläufig, da sie oft zeitintensiver sind. Prekäre Arbeitsbedingungen bestehen auch hier. Viele Produkte und Rohstoffe werden aus dem Ausland importiert, wodurch auch auf diese Bedingungen geachtet werden muss. Urdinkel wird häufig in lokalen Kleinmühlen verarbeitet und als nährstoffreiches Brot in regionalen Bäckereien angeboten – ein Ansatz, der die Wertschöpfung in der Region hält. Die von Slow Food unterstützten Presidi-Produkte erhalten kleine, hochwertige Produktionen und weisen eine positive Wirkung auf die Biodiversität auf, da ihre Herstellung im Einklang mit ökologischen Kreisläufen und natürlichen Lebensräumen erfolgt.

Handel und Konsum

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Die fertigen Produkte gelangen vorwiegend über Grossverteiler in die Haushalte. Dennoch sind Wochenmärkte und aufkommende Modelle wie Gemeinschaftsläden beliebt. Auch das Thema Gesundheit spielt eine zentrale Rolle: Rund 42% der Schweizer Bevölkerung sind übergewichtig, was die Notwendigkeit gesunder Ernährungsgewohnheiten betont. Die wissenschaftlich basierte Planetary Health Diet zielt darauf ab, sowohl die menschliche Gesundheit als auch die Umwelt zu fördern. Für die Schweiz bedeuten die Vorschläge der Plantary Health Diet konkret, Milchprodukte und Fleisch zu reduzieren, und den Konsum von Hülsenfrüchte und Nüsse zu steigern. Auch Gastronom:innen setzen sich mit lokalen Bezugsquellen auseinander, wie die Slow Food Cooks Alliance.

Rahmenbedingungen

Getreide

Die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen spielen eine wichtige Rolle und sind wegweisend für unsere Ernährung. Politische Entscheidungen, wie Subventionen oder Regelungen im Lebensmittelbereich, beeinflussen direkt die Art und Weise, wie produziert und konsumiert wird. Wirtschaftlich gesehen sind kleine Betriebe oft benachteiligt, da sie mit den Preisen und Mengen der industriellen Landwirtschaft kaum konkurrieren können. Auch die Umwelt und das Klima sind Teil des Systems, denn Trockenheit kann zum Beispiel den Ertrag an Getreide beeinflussen, und die Treibhausgasemissionen tragen wiederum zur Klimaerwärmung bei. Die Ernährung in der Schweiz verantwortet rund 25 Prozent aller negativen Umweltauswirkungen des Landes und ist daher ein entscheidender Faktor für das Schwinden der Artenvielfalt. Global gerechte Bedingungen sind zudem zentral, da die Schweiz viele Lebensmittel importiert.

Auf eine vielfältige Zukunft

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Das Ernährungssystem in der Schweiz steht vor grossen Herausforderungen, die von der Landwirtschaft bis zum Konsum reichen. Der Urdinkel zeigt jedoch, dass nachhaltige und lokale Produktionsmethoden möglich sind und sich lohnen können. Eine bewusste Ernährung und die Unterstützung kleinstrukturierter Produzentinnen und Verarbeiter tragen dazu bei, ökologische und gesundheitliche Probleme langfristig zu lösen. Dafür setzt sich Slow Food ein: gut - qualitätsbewusste, wohlschmeckende und gesunde Lebensmittel, sauber - möglichst wenig Umweltbelastung, und fair - angemessene Preise für Konsument:innen und faire Bedingungen für Produzent:innen.

Sei gespannt auf weitere Artikel: In ausgewählten Regionen in der Schweiz stellen wir euch Pionierprojekte vor, welche sich für gute, saubere und faire Lösungen einsetzen und Genuss, Nachhaltigkeit und Gemeinschaft zelebrieren.

Was ist Slow Food ?

Slow Food Schweiz – Für gute, saubere und faire Lebensmittel

Slow Food ist eine globale Bewegung, die in mehr als 160 Ländern präsent ist. Ziel ist es, lokale Esskulturen zu fördern und ein Bewusstsein für nachhaltige und ethische Lebensmittelsysteme zu schaffen. Die rund 3000 Mitglieder von Slow Food Schweiz verbinden den Genuss hochwertiger Lebensmittel mit einem klaren Bekenntnis zu einem ökologisch und sozial verantwortlichen Ernährungssystem.

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